Hintergrund

 

„Alles, was wir Kindern beibringen,
können sie nicht mehr selbst entdecken“

Piaget

 

»Die mittlere Kindheit kann unglaublich fruchtbar für die intellektuelle und kreative Entwicklung sein. Aber die Kinder verlieren heutzutage Jahre des kreativen Spiels, in denen sie ein Gefühl für ihre eigenen Fähigkeiten erlangen könnten, in denen sie ihre Unabhängigkeit ausprobieren, sich am konstruktiven Problemlösen versuchen oder üben könnten, den Dingen um sie herum eine Bedeutung zu verleihen.«.
Susann Linn in DIE ZEIT

 

 

 

Wie alles anfing
Eher zufällig war die Entstehung der Bauklotzangebote und deren Einbindung in die Aktionen des Spielmobils Spielefant. Denn die eigentliche Vielfalt und das große Lernpotenzial dieses Spielmaterials wurde erst nach und nach während des aktiven Einsatzes deutlich.
Zuerst wurden die Hölzer einfach als „Wilder Haufen“ bereit gestellt, ohne besondere Aufgaben den Kindern frei überlassen. Was diese und deren Eltern, ErzieherInnen, LehrerInnen und auch kinderlose Erwachsene damit anstellten, sprengte jede Vorstellungskraft. Erst hier zeigte sich, welch Dynamik und Energie, welch pädagogische Möglichkeiten und Vielfalt in der Auseinandersetzung mit diesem Material steckt. Von nun an rauchten kreative Köpfe!

 

 

Seit 2004 setzt das Oldenburger Spielmobil Spielefant Holzstäbe zum Bauen bei verschiedenen Spielaktionen und (Schul-)veranstaltungen ein, mit unterschiedlichen pädagogischen Intentionen.

Auf einer ersten öffentlichen Großveranstaltung in 2005, die Heike Schwarz (Mitgründerin und ehemalige Geschäftsführerin Spielmobil Spielefant) auf dem Oldenburger Rathausmarkt mit circa einer halben Million Holzstäbe organisierte, stand im Vordergrund, das große Potential an Kreativität bei den Besuchern der Veranstaltung freizusetzen, und der immer sofort spürbaren Lust am Bauen und Konstruieren Raum zu geben. Schnell wurden weitere pädagogische Möglichkeiten deutlich, die in der Konzeption beispielsweise für Spielaktionen an Grundschulen aufgegriffen wurden.
Ausführlich beschrieben in der Broschüre „Was klotzt Du?“

 

 

Spielaktionen mit den Holzstäben
Das große Holzspektakel bedeutet trotz einer vergleichsweise kurzen Veranstaltungsdauer von etwa einem Schulvormittag die Initiierung sozialer Lernprozesse innerhalb der Klassen und Schulen durch entsprechende Spielideen.

Das Holzspektakel wurde zunächst konzipiert für Grundschulen. Grundidee war, Kindern Möglichkeiten und Ideen für das Bauen und Spielen mit den Hölzern anzubieten, sie aber während der Veranstaltungszeit selbst entscheiden zu lassen, in welcher Form sie bauen wollten. Ziele waren die Förderung der Eigentätigkeit der Kinder, die Stärkung von Ausdauer und Konzentration, die Unterstützung forschenden Lernens und insbesondere die Förderung von kooperierendem Handeln.

Die Zusammenstellung aus freien und vorgegebenen Baustationen erwies sich insgesamt als sinnvoll. Erfahrungen aus offenen Spielaktionen zeigen, dass der Reiz für viele Mitspieler zunächst oft einseitig darin besteht, möglichst hohe Türme zu konstruieren.

Impulse als Bauvorhaben ohne konkrete Baupläne geben dagegen vielfältige Anregungen, anders zu bauen, ohne die eigene Kreativität in der Umsetzung vorzuschreiben. Zwei Beispiele:

Impuls:
„Christo der Verpackungskünstler“ – Baut etwas komplett ein!                                                                                                                                       

(Hier wurde einfach eine Schulfreundin eingebaut)                                                                                          
                                                                                                                        

 

                                                                  

 

                                                    

                    

Impuls:
„Original und Fälschung“ – Baut das berühmte Bauwerk nach!

(Perfekte Teamarbeit)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Material: Der Reiz des Einfachen
Tausende von kleinen Holzstäben, eines wie das andere: naturbelassen, 16 cm lang, etwa 2 cm breit und einen guten halben Zentimeter dick. In dieser Form steht das Material im direkten Gegensatz zu dem, was Kindern heutzutage üblicherweise zur Verfügung steht: hoch differenziertes, in seinen Funktionen sehr festgelegtes, häufig optisch überladenes und mit elektronischen Zusatzfunktionen ausgerüstetes Spielmaterial. Selbst die wohl beliebtesten Bauklötze in moderner Form – der Marke Lego – werden in immer spezialisierteren Bausätzen angeboten.

Der Spielreiz beim Spielen mit den Holzstäben entsteht offenbar aus dem genau Entgegengesetzten: dem Aufforderungscharakter des einfachen, schlichten Materials, das seine Nutzung offen lässt und der (kindlichen) Kreativität damit einen schier unerschöpflichen Raum bietet.

Je weniger Möglichkeiten das Material vorgibt, um so mehr ist die Kreativität der Spieler herausgefordert. Ganz von allein entwickelt sich eine große Konzentration und Ausdauer in der Planung, Entwicklung und Konstruktion der eigenen Bauvorhaben. Und damit überwinden die Kinder – so Erfahrungen insbesondere bei den Spielaktionen – auch die so genannte „Zapper-Mentalität“, in der Spielmaterialien kurz angespielt und dann wieder fallen gelassen werden.

Das zweite Moment, mit dem sich die Faszination des Materials erklären lässt, besteht in seiner schieren Menge – die nahezu unerschöpflich scheint. So wurden – sofern eben immer ausreichend Material vorhanden war – Bauwerke nie mutwillig zerstört. Nur wenn die Holzstäbe knapp wurden, war zu beobachten, dass Kinder Hölzer für ihr Bauvorhaben horteten und auch verteidigten.

 

Rolle der Betreuer: Die Bauleitung
In der Regel werden die Spielaktionen von Mitarbeitern des Spielmobils betreut. Neben der Erledigung von organisatorischen Aufgaben – Vorbereitung sowie Auf- und Abbau – fällt ihnen die Aufgabe der Moderation und der Bauleitung zu. Das entspricht dem Vorstellen der Spielbereiche, dem Stellen von Bauaufgaben, dem Achten auf die Einhaltung der Regeln sowie ggf. der Zuteilung von „Baugenehmigungen“. Die begleitenden Lehrerinnen und Lehrer konnten sich während des Spielablaufs nahezu vollständig zurücknehmen und ihre Schüler/innen in der Interaktion beobachten, weil die Kinder den Baubetrieb selbstständig regelten.

 

Wo Erwachsene am Bau beteiligt waren, fühlten sich die Kinder mit ihnen auf
gleicher Ebene – richtig und falsch gab es bei den Bauten nicht, nur die Statik
setzte den Ideen Grenzen.

 

                              

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Lern- und Erfahrungspotenzial
Die Trennung in unterschiedliche Ebenen und Aspekte des Lernpotenzials, das dem Spiel mit den Holzstäben innewohnt, ist selbstverständlich eine künstliche und von daher theoretischer Natur. Doch sie ermöglicht das Verständnis der unterschiedlichen Bereiche, die im Spiel mit den Holzstäben angesprochen werden.

Das Aufeinandersetzen der Holzstäbe ist zunächst eine haptische Erfahrung, die in der Konsequenz ein Gefühl für die eigenen motorischen Fähigkeiten gibt: Je höher ein Bauwerk, desto mehr Auswirkungen haben meine zittrigen Finger auf seine Stabilität.
Daraus folgen direkt elementare physikalische Erfahrungen im Bereich der Statik: Wie kann ich eine möglichst weite Strecke überbrücken? Wie kann ich den Turm durch eine veränderte Konstruktion stabiler und damit höher bauen?

So erschließen sich im Bauprozess physikalische Konzepte wie der Schwerpunkt und seine Funktion oder die Wirkweise eines Hebels, ohne dass sie expliziert werden. Gleichzeitig finden grundlegende mathematische und logische Erkenntnisprozesse statt: Immer wieder ist das Verhältnis vom Teil zum Ganzen Thema beim Bauen. Dabei sind die Verhältniszahlen des Materials selbst von untergeordneter Bedeutung, wichtig ist ihre Existenz als solche: Nur die absolute Gleichförmigkeit der Hölzer bietet die Voraussetzung für die Entdeckung der Gesetzmäßigkeiten.

 

 

Der Entwicklung künstlerischen Ausdrucks und der damit verbundenen Lernerfahrungen sind Grenzen nur im Format der Stäbe und ihrer Anzahl gesetzt: Vom Kindergartenprojekt zu Weihnachten, bei dem Kinder aus einer vorgegebenen Anzahl Hölzer Weihnachtsbäume bauen und mit anderen Materialien schmücken sollten, bis hin zu anspruchsvollen Architekturprojekten mit Jugendlichen.
 

                        

 

 

Möglichkeiten des soziales Lernens beim Spielen mit Holzstäben
Soziales Lernen ist die Entwicklung sozialer und emotionaler Kompetenzen. Im Einzelnen sind das die Fähigkeiten, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, Beziehungen zu ihnen auszubilden und mit ihnen zu kommunizieren. Darüber hinaus geht es darum, Empathie auszubilden – also die Möglichkeit zu entwickeln, Gefühle bei anderen zu antizipieren – und kooperativ und konfliktfähig handeln zu können.
Dazu hat Matthias Klein u.a. eine spezielle Aktion entwickelt: „Städtebau – Das moderne Soziogramm mit AHA-Effekt“ (Beschrieben in der Broschüre „Was klotzt Du?“)

Dabei kommt der Schule eine zunehmend größere Bedeutung zu, weil Gleichaltrigenkontakte – unter den Stichworten der verplanten oder überbehüteten Kindheit – immer weniger als zufällige Treffen im öffentlichen Raum zustande kommen, sondern als Verabredungen mit zumeist einzelnen Kindern geplant werden. Lediglich die Schule und insbesondere die Grundschule als am ehesten sozial durchmischte Schulform bietet den Kindern die Möglichkeit, sich in größeren, altersmäßig und sozial durchmischte Gruppen auseinanderzusetzen.

Bei einer projektbezogenen Spielaktion bekommen die Kinder innerhalb der hierarchisch organisierten Institution Schule die Möglichkeit, sich auf der Ebene der gleichberechtigten Peer-Beziehungen zu bewegen und ihre Interessen in der Gruppe zur Lösung der Bauaufgaben auszuhandeln. Da das Bauen keiner schulischen Bewertung unterliegt, tritt diese eigentliche Funktion der Institution Schule in diesem Fall zurück. So zeigt sich hier das große Potenzial, Lernerfahrungen im sozialen Bereich zu ermöglichen, schon in der Anlage der Spielaktion: Das Nebeneinander ganz freier und halboffener Bauaufgaben ermöglicht jedem Kind, sich seiner Motivation und Persönlichkeit entsprechend einem Bereich zuzuordnen, ihn aber auch zu wechseln. Von ganz alleine entstehen auf dem – ja räumlich begrenzten – Baugelände gleichberechtigte Diskussionen und Verhandlungen über Bauwerke, das benötigte Material oder Konstruktionsbedingungen.

Es werden Verbesserungsvorschläge gemacht, es wird gemeinsam nach Lösungen für bauliche Probleme gesucht („Wie können wir die Towerbridge bauen?“), Helfer werden in ihre Aufgaben eingeführt. Zu beobachten ist, dass in aller Regel die Kinder dieses Aushandeln der unterschiedlichen Positionen, die Diskussionen um ihre Bauwerke sehr wertschätzend führen. Bauwerke werden allenfalls mutwillig zerstört, sofern keine ausreichende Menge an Hölzern mehr zur Verfügung steht. Damit sind schon die ersten Anwendungen des individuellen Empathievermögens beschrieben: Schließlich hat im Verlaufe der Spielaktion jedes Kind die Erfahrung gemacht, wie viel Mühe die Konstruktion bestimmter Bauwerke macht – ihre Anerkennung bei anderen fällt dann umso leichter.

Diese eigene Erfahrung beim Bauen, mit gleichen Ausgangsvoraussetzungen für jedes Kind – es muss schließlich keine komplizierte Technik erlernt werden – führt auch zu einer positiven Anerkennungskultur untereinander: Gelungene Bauwerke konnten uneingeschränkt wertgeschätzt werden – schließlich konnten die Kinder aus ihrer eigenen Erfahrung die Mühe und Sorgfalt beim Bauen einschätzen und sich darüber in ihre Mitschüler einfühlen.

In der Bewältigung der halboffenen Aufgaben erleben die Kinder, wie Zusammenarbeit und Solidarität schneller zum Ziel und in der Konsequenz mit der Einbindung verschiedener Vorschläge zu einem fantasievolleren Resultat führen, auch wenn dabei die individuellen Vorstellungen zurücktreten mussten. Dabei müssen Absprachen getroffen und von allen eingehalten sowie Strategien entwickelt werden, um das Ziel zu erreichen. So entwickelt sich – wieder ohne das regelsetzende Zutun von Erwachsenen – Kooperations- und Konfliktfähigkeit sowie Durchsetzungsvermögen.

Beispiel: Der Turmbau-Wettbewerb in Schulen.
Für den Bau eines Turms wird eine bestimmte Höhe festgelegt, die während der Dauer der Aktion bis zu einem festgelegten Zeitpunkt erreicht werden muss. Schaffen die Kinder das, gewinnt die Schule eine Kiste mit Holzstäben. Dabei entscheiden die Kinder selber, wer sich an dem Bauen beteiligt. Dadurch soll unter den Klassen oder Schülern/innen keine Konkurrenzsituation entstehen, denn es geht darum, das Ziel überhaupt zu erreichen und nicht besser zu sein als andere.

 

 

 

 

Insgesamt und grundlegend bietet der Bau mit den Holzstäben darüber hinaus auch einen Anlass, sich sprachlich sehr differenziert auf unterschiedlichen Ebenen mit Gleichaltrigen auseinanderzusetzen. Nicht nur auf der Ebene der kindlichen Sprachentwicklung ist ein breites Angebot ähnlicher Anlässe begrüßenswert, auch für die Entwicklung von Sozialkompetenzen ist die Ausbildung von Kommunikationsfähigkeit nicht zuletzt auf sprachlicher Ebene ein wichtiges Ziel.

 

Ganztagsschulen, Musikunterricht oder Sportkurse – viele Kinder haben heute einen durchgeplanten Alltag.
„Dabei wird übersehen: Gerade selbstbestimmtes Spielen ist für die Entwicklung wichtig.
Statt zu spielen, werden Kinder heute vielfach beschäftigt.
Egal wie anspruchsvoll das Angebot ist, Kinder handeln dabei nicht aus sich heraus.“
Almut Siegert in familie&erziehung

 

          Deshalb vergesst den „Wilden Haufen“ nicht
  
und lasst die Kinder einfach bauen!

 

 

 

 

 

 

 
 
(Tipp: Alle Fotos werden durch Anklicken vergrößert dargstellt)